LOUIS THÉODORE GOUVY

Frankreichjahr

 

„Wenn die erste Frage, die die Betrachtung des Lebens und Wirkens eines hervorragenden Künstlers aufzuwerfen und zu beantworten hat, seine Nationalität betrifft, den Mutterboden gleichsam, auf dem seine Kunst zu entfalten und zu dem zu entwickeln bestimmt war, was sie uns heute wertvoll macht, so bereitet uns die Beantwortung dieser Frage Théodor Gouvy gegenüber eine gewisse Verlegenheit. Einem wallonischen Vater und einer französischen Mutter entstammend, in Deutschland geboren, in deutscher Umgebung herangewachsen, auf französischen Schulen gebildet, auch seine musikalische Unterweisung von französischen Meistern empfangend, später seinen Wohnsitz zwischen Frankreich und Deutschland, mit besonderer Bevorzugung des letzteren, beständig wechselnd – so bietet Gouvy das Bild eines nationalen Doppelwesens, dessen Eigenart auch seine künstlerische Entwicklung in der eindringendsten Weise beeinflussen musste. In der Tat liegt eines der hauptsächlichsten charakteristischen Abzeichen Gouvy’scher Kunst in der Vereinigung deutsch- und französischnationaler Elemente, nicht etwa aber in dem Sinne eines gegenseitigen Annäherns und Milderns ihrer nationalen Bestimmtheit, sondern in dem einer kräftigen gegenseitigen Befruchtung.” Dies die Einleitung zu “Theodor Gouvy. Sein Leben und seine Werke” von Otto Klauwell, erschienen 1902, also nur vier Jahre nach Gouvys Tod.

 

Es gibt doppelten Anlass, sich dieses 1819 in Gaffontai-e, “einem engen, von weithingestreckten bewaldeten Höhen umschlossenen und von einem munteren Quellbach durchströmten Wiesental” (das ist das heutige Saarbrücken-Schafbrücke) geborenen Komponisten an-zunehmen und ihn zu feiern: Wir haben im Januar den 50. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags, des Elysée-Vertrags, gefeiert. Es ließe sich in Gouvy mit seinem Schaffen, das sich “einer kräftigen gegenseitigen Befruchtung” deutscher und französischer Elemente verdankt, ein früher Vorgänger eines gelungenen deutsch-französischen Miteinanders sehen – und dies in einer Zeit, da noch von Erbfeindschaft die Rede war (Gouvy war immerhin ein Leidtragender des Krieges 1870/71, der auch vor seinem Haus im heuti-gen Haut Hombourg tobte)!

 

Typisch deutsche Musik, typisch französische Musik – gibt es das überhaupt? Oder walten hier Vorurteile oder gar Ressentiments? Sind mit dem Aufkommen von Nationalstilen im 19. Jahrhundert vielleicht doch ungute Rivalitäten entstanden? Wir wollen solchen Fragen anhand der Biografie und des Schaffens von Gouvy nachgehen. Wichtige Aspekte, die uns einen Einblick geben in kulturpolitische Denkweisen, die es erst zu überwinden galt, um ein einiges Europa zu gestalten, bei dem das Tandem Deutschland/Frankreich heute eine so bedeutsame Rolle spielt.

 

Bernd Reutler hat im Jahr 2010 angeregt, die Stadt Saarbrücken möge einen Musikpreis Théodore Gouvy vergeben an junge Komponisten – analog zum Kunstpreis Robert Schuman, den die Quattropole vergibt, ein grenzüberschreitender Kunstpreis also. Zusammen mit dem verstorbenen Saarbrücker Kompositionsprofessor Theo Brandmüller wurde schließlich ein Weg gefunden, erstmals in diesem Jahr diesen Preis zu vergeben im Rahmen der SR-Reihe “Mouvements” und der darin integrierten Komponistenwerkstatt. Die zweite Hälfte des kompositorischen Schaffens von Gouvy ist wesentlich geprägt von vokalen Werken, großen Chorwerken, aber auch einem reichhaltigen Liedschaffen. Da gibt es chansonartige Stücke, aber auch durchkomponierte Lieder, Französisches und Deutsches steht nebeneinander. Diese Stücke bilden den musikali-schen Teil unseres Gouvy-Abends. Wir werden die jun-gen Sängerinnen und Sänger Laura Demjan und Thomas Dorn aus der Gesangsklasse von Prof. Yaron Windmüller an der Hochschule für Musik des Saarlandes hören, der die Lieder ausgesucht und einstudiert hat; begleitet werden sie von dem Pianisten Grigor Asmaryan.

 

Louis Théodore Gouvy wurde am 3. Juli 1819 in Gaffontaine (heute Saarbrücken-Schafbrücke) geboren und starb am 21. April 1898 in Leipzig; begraben wurde er in Hombourg-Haut. Sein Vater, ein wallonischer Industrieller, gründete bei Saarbrücken eine Eisenhütte, die er nach seinem belgischen Heimatdorf Gaffontaine benannte. Gaffontaine stand unter Preußischer Herrschaft. Um am Conservatoire de Paris studieren zu können, erwarb Gouvy 1852 die französische Staatsbürgerschaft. So muss er als ein deutsch-französischer Komponist gelten. Freundschaft und lebhafte Korrespondenz mit Komponisten wie César Franck, Camille Saint-Saens, Chopin, Berlioz, Liszt und Brahms. Den dt.-frz. Krieg 1870/71 verbrachte er im Schweizer Exil. Künstlerische Anerkennung erlangte er vor allem in Deutschland, vornehmlich in Leipzig. Seine Werke: Sechs Sinfonien, Trios, Quartet-te, Quintette, ein umfangreiches Klavierwerk, Lieder, Chorwerke, Kantaten, Requiem, die Opern “Le Cid” und “Mateo Falcone”. Mitglied des Institut de France, Ritter der französischen Ehrenlegion und Mitglied der Preußi-schen Akademie der Künste.

Veranstalter


Villa Lessing e.V.

Mitwirkende:

Bernd Reutler
Idee, Konzept, Texte

Anne Herrmann

Sprecherin

 

Prof. Yaron Windmüller
Liedauswahl und Einstudierung

 

Laura Demjan
Sopran

 

Thomas Dorn
Tenor

 

Grigor Asmaryan
Klavier

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